Texte
Dr. Matthias A. Poos
Aus: Katalog Anne Kolvenbach „Arbeiten 1993 - 1998“
Hrsg. Galerie Annelie Brusten, Wuppertal 1998
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Gummi
Allusionen zu Anne Kolvenbachs Objekten
- Textauszug -

Vom object trouvé zur Form
Vorgefundenes bearbeiten, nicht erfinden. Die Erfindung ist eine Chimäre. Sie nährt sich vom Ich-Fetischismus des beginnenden 19. Jahrhunderts, Fichtes Ich = Ich. Das Ich koordiniert, fügt ? glücklich ? neu zusammen. Das stellte erst Dada klar:
Die Montage ist das Geheimnis der Kreativität. Der fremde Blick aufs Vertraute erzeugt Neues. Im Falle der Kunst die neue Form. Kunst ist Formung des Bestehenden zu einem neuen Objekt. Das ist ihr Glück und die jeweils an Ort und Stelle wahr gewordene Utopie, die damit zur Topie wird: Präsenz statt ewiger Aufschub. Das hic et nunc der Kunst. Sie ist definitiv. Unverrückbar. Sie sagt Ich ohne zu kommunizieren.
Auch Annes Bilder arbeiten vermittelt mit Gummi (Muster?Rollen) als Strukturierungsmaschinen, die den Fond der Bilder be/zeichnen. Palimpzest, verdeckte verschlüsselte Zeichen/ Hieroglyphen/ Schrift.

Gummi spricht
Kunst ist dann gut, wenn sie etwas in Gang setzt. Das Begehren ins Floaten bringt. Wie nähere ich mich den Objekten? Wie nähern sie sich mir? Betrachten, versenken, der freie Fluß der Gedanken, Meditation, Annes Kunst eine stille Kunst ohne Konzessionen an den laufenden TV?Schwachsinn, aber auch sperrig im wahrsten Sinne des Wortes: Die Liegestuhlobjekte ? bizarre Form, die Neuinterpretation des Bekannten, Liegestuhl natürlich, aber so noch nie gesehen, das Alltägliche als Objekt, so neu ist das Triviale unterm verfremdenden Blick, auch Spielerisches ? mal probieren, wie's aussieht, seiner Verwendung entziehen, zweckfrei machen, die andere Sicht auf die Dinge, Befreiung von der Tyrannei des Nützlichen, wie schön sind die Dinge im a-funktionalisierten Zustand, zum Glück liegen die Dinge eben anders, auch hier Montage, das Alltägliche umgestalten, interesseloses Wohlgefallen, wobei der Realitätsrest den Charme der Verfremdung ausmacht.

Ein roter Gummischlauch elegant geschwungen mit einer grünen Banderole: an Medizintechnisches mag man denken, einen Einlauf, aber die Form dementiert auch hier die funktionalistische Realität: Es steht für sich, hat sich entzogen, ist Objekt ? reduktionistisch ? abstrakt auf weißem Grund: Die Wand ? die Schleife, reine Schönheit, so schön könnte es sein: Anne Kolvenbach als Utopistin der Abstraktion: Die Dinge so nehmen, wie sie nicht sind, eine neue Realität, eine Welt der unwirklichen Dinge, Kunst von Geisterhand, im Stillen Schönheit schaffen, ist das weiblich? Einfach zu sein, das Geschlecht, das nicht Eines ist, keine phallischen Monstrositäten, kein Auftrumpfen in der Kunst der Anne Kolvenbach, leise Zurücknahme des Ichs, keine pompöse Selbstinszenierung, was sprechen soll ist das Oeuvre, bescheiden aus Fülle, ein kleiner Wink, mehr nicht, ein leises „Schau doch mal hin", ein geflüstertes „Ich zeig' Dir was", kein Sinn wird oktroyiert, jeder bleibt für sich. Anne bleibt für sich.

Aber trotzdem ist Annes Werk nicht die Idylle im stillen Winkel und auch nicht ist es Dekoration. Eben weil es sich sperrt. Nicht so ohne weiteres zugänglich ist. Es liegt darin ein Wille ? der zum Anderen. „Die Nichtrepräsentierbarkeit des ganz anderen": der Titel meiner Doktorarbeit wird hier partiell konterkariert: Es zeigt sich sprachlos und redet doch. Das Andere spricht, aber eben eine andere Sprache. Die wort? und begrifflose.
Sie allerdings zu dieser zu machen ist möglich ? der Grund dafür, daß wir auf dieser Welt doch nicht nur ganz fremd sind, es gelingt ein stummer Dialog, wir partizipieren vom Fremden, wir können etwas Anderes vorstellen, als das, was ist ? insofern ist Annes Kunst nicht.
Sie markiert die Lücke im Diskurs, die differance, den Riß, der durch die Welt geht und seine Überwindung gleichermaßen: Das ist das Glück. Geglückte Kunst. Minimalismen. Leichte Veränderung der Form und schon ein Besonderes. Es bedarf nicht viel. Aber dasjenige, dessen es bedarf, ist eine Kunst. Auch die Kunst des Arrangements.

Es sind diese mit sicherer Hand immer etwas veränderten kleinen Dinge: Die Freude, die Lebendigkeit, die Lust am Dasein und die Wut auf den Tod. Vital die Bänder, energetisch in ihrem Format, raumgreifend. Bezeichnet und im höchsten Maße subjektiviert.
Da ist mehr als der Eingriff ins Material, der ihm eine individuierte Form gibt. Hier breitet sich Individuation aus, im eminenten Sinne. Eben abstrakt Zeichen setzend. Hier ist eine Subjektivität am Werk, die sich auf keinen anderen Sinn hin entwirft als auf ihren eigenen. Eine Zumutung: Keine Subsumtion ist möglich, keine Kommensurabilität. Das pure ungeschützte Ich. Setzung. Die Freiheit der radikalen Vereinzelung. Mut zum Ausdruck.

© Dr. Matthias A. Poos
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