Texte
Thomas Brandt
Rede zur Eröffnung der Ausstellung Anne Kolvenbach „parisassoziativ“
Buch- und Kunstkabinett Konrad Mönter, Meerbusch-Osterath
Freitag, 18. Februar 2011
  Übersicht 
  Texte:  01   02   03   04   05   06 
              07   08   09   10   11   12 
              13   14   15   16  
Begrüßung - Anne Kolvenbach, Herrn Mönter und Gäste

Für 2010, meine sehr verehrten Damen und Herren, hatte es geklappt: Anne Kolvenbach, Mitglied im altehrwürdigen, 1844 gegründeten Verein Düsseldorfer Künstler konnte für zwei Monate eines der begehrten Ateliers der Organisation in der Cité Internationale des Arts in Paris beziehen. Im Herzen der kunstgeschichtsträchtigen, vitalen Metropole liegen sie, ganz in der Nähe der Seine, deren Rauschen man beim Arbeiten zu spüren scheint. Der Traum von einem inspirierenden Aufenthalt inmitten einer kultivierten Stadt voller bester Kunst der ganzen Welt, von einem müßigen Arbeiten im abgeschirmten Atelier, fern aller Alltagssorgen und -beschäftigungen in der Neusser Heimat, platzte jedoch rasch. Das Zusammenleben von Malern, Bildhauern, Tänzern, Komponisten, Musikern und Filmschaffenden aus allen Herren Ländern, von dem man sich aus größerer Distanz lebendigen Austausch und reichhaltige Inspiration versprechen mag, entpuppte sich beim Einzug als ein mittelschweres Martyrium. Dünn sind die Wände im Dachgeschoss des Altbaus der Cité, dessen morbider Zustand von seinem Charme gerade noch aufgewogen wird. Stark und groß war der weissrussische Cellist, der direkt hinter der dünnen Trennwand beider Ateliers immerfort die gleichen Passagen eines sicher eindrucksvollen Werkes probte, unterbrochen nur von einem musikalischen Dialog, den er mit einer Violinistin regelmäßig zu proben pflegte.
Und doch gab es diese dünne Wand, die die Musik von der Bilderwelt trennte und die es gestattete, sich ganz auf den eigenen Werkprozess zu konzentrieren, während der Ehemann sich ganz dem Faszinosum des weitverzweigten Metro-Systems und seinen dortigen Filmaufnahmen verschrieben hatte. Ganz allein konnte Anne Kolvenbach in ihrem eigenen Raum auf Zeit sein, mit seinen hohen Fenstern, durch die das schönste Licht von oben auf einen großzügigen Arbeitsbereich fiel - für eine Malerin ein wahres Geschenk, in deren Atelier an der Langen Hecke am heimatlichen Niederrhein das Licht immer nur durch die Seitenfenster einfallen kann.

Heute fährt man nicht mehr nach Paris, um etwas von einem neuen Geist in der Kunst in sich aufnehmen und für sich selbst alternative Wege finden zu können. Das haben viele Künstler und Künstlerinnen aus Deutschland vor Anne Kolvenbach getan, so z.B. Paula Modersohn-Becker, die sich für ihre Worpsweder Bildwelten Sprachmöglichkeiten in Farbe und Form in Paris erarbeitet hatte, in direkter Auseinandersetzung mit den großen Befreiern aus einengendem Bildverständnis wie Paul Gauguin oder Vincent van Gogh. Selbst nach dem zweiten Weltkrieg war Paris noch der künstlerische Nabel der Welt und der Neusser Malerkollege von Anne Kolvenbach, Walter Cüppers, der erste Student der Düsseldorfer Kunstakademie, der ein Paris-Stipendium erhielt und an der Seine informellen Geist aufnehmen durfte, der ihn bis heute erfüllt. Mit der Pop-Art war Paris passé und New York übernahm die Rolle des Taktgebers in der Kunstwelt, in die auch Anne Kolvenbach hinein gewachsen ist. Sie musste dort nichts mehr suchen, was sie nicht schon in sich trug. Für die Malerin bot das Atelier im Herzen der Seine- Stadt aber einen erneuten, fruchtbaren Aufenthalt im romanischen Kulturkreis, wie sie ihn immer wieder im Leben in vielen Sommern im spanischen Cadaqués oder in Barcelona schätzen gelernt hatte. Dieses Mal im „Häusermeer“ der „Steinestadt“, wie Anne Kolvenbach ihr Paris nennt, in dem sie manches Mal die Sehnsucht nach Natur, nach offener Landschaft, nach dem Unberechenbaren überkam.

„Und wie es bei einem Aufenthalt in solch einer quicklebendigen Stadt so ist, in der sich spannende Ereignisse ununterbrochen aneinander zu reihen scheinen:“, sagt sie mir, „man ist immer ein wenig hin und her gerissen, ob man lieber auf die Straße gehen und die Stadt erkunden oder sich ins Atelier zurückziehen soll, um dort in der eigenen Malerei neue Wege zu finden.“ Je länger der Aufenthalt aber dauerte, desto mehr näherten sich beide Bereiche einander an, wurde die Stadt zum Ort der Ernte für Form- und Strukturmotive, für Impulse und Rhythmen. Immer leichter ließ sich Bildnerisches in ihr erkennen. Und in den entstehenden Bildern tauchte auch die Stadt immer mehr auf, bestimmte die Kompositionen mit ihrer eigenen Dynamik, ihren Schichtungen, dem vielgliedrigen Geäder ihrer Lebenswege und mit kleinen, versteckten, verschmitzten Kommentaren zum dort Erlebten und Entdeckten.
Im vergangenen Jahr habe sie den Reiz des Busfahrens entdeckt, erzählt die Malerin. Paris müsse „erfahren“ werden, im doppelten Sinn des Wortes, aus den Bewegungen auf den Straßen heraus, über die Seinebrücken, riesigen Kreuzungen und großen Plätze hinweg, - vielleicht wie in dem Film „Außer Atem“ mit Jean- Paul Belmondo. „Und immer wieder die eingegrenzte Natur der barocken Gartenanlagen“, erzählt die Tochter eines gelernten Schloßgärtners und späteren Samenhändlers. Von verschnörkelten, schmiedeeisernen Zäunen sauber eingefasste und gezähmte Rasenflächen, als ob sie liebevoll mit der Häkelnadel am Rande verziert worden wären. Und in den Tuilerien hinter hohen Buchsbaumhecken viele Skulpturen von Maillol. „Etwas Näckisches hatten sie.“, stellt die Künstlerin fest, „Man konnte einfach nicht ehrfürchtig vor ihnen stehen bleiben. Sie reizten zum Lachen.“ Und fanden schließlich auch ihren Weg oder Umweg in die Pariser Gruppe des Kolvenbachschen Werkes.
Und schließlich habe sie mit ihrem Mann doch noch einen Ort gefunden, wo die Natur ungebändigter zu sich selbst kommen konnte, üppiger inszeniert und beeindruckender war. „Mehrmals sind wir in die Buttes-Chaumont im Norden der City gefahren. Dort gibt es sogar einen 35 Meter hohen Wasserfall, der über Felsen in die Tiefe rauscht.“ Ähnlich intensiv waren die Eindrücke beim mehrmaligen Besuch des Musée du Quai Branly, dem Pariser Völkerkundemuseum. „Wer mag, kann durchaus in meinen Pariser Bildern Anregungen aus der dortigen Sammlung wiederfinden, von den vielen faszinierenden Behausungen, Zelten und Hütten, Masken und Kopfbedeckungen, an denen ich mich nicht satt sehen konnte.“ Und wo wir schon mal beim Wiedererkennen sind: von Bildzitaten hält Anne Kolvenbach viel, wenn sie als Fragmente einem völlig neuen Kontext eingepflanzt werden. Dies erkläre auch ihre Vorliebe für das Werk von Sigmar Polke.

Ihre eigene bildnerische Strategie hat Anne Kolvenbach in Paris nicht suchen müssen. Erprobte Bildverfahren hat sie schon von zu Hause mitgebracht, Bildverfahren, die letztendlich aber auch mit Paris und seiner Kunstgeschichte zu tun haben. Denn die Malerin vertraut auf „poetische Zündungen“, wie sie der Surrealismus als Verfahren entwickelt hat. Um Verstand und Vernunft auszuschalten, um, wie Anne Kolvenbach es nennt, das „Berechenbare und Abgezirkelte“ verlassen zu können und der bildnerischen Intuition Tür und Tor zu öffnen, um einen ungefilterten Zugang zur eigenen Innenwelt mit den dort lagernden Bildern, Gefühlen und Empfindungen zu erlangen, schätzt sie die Methode des freien bildnerischen Assoziierens. Dies gelingt am besten, wenn man sich ohne Zielvorstellung von im wesentlichen amorphem ästhetischem Ausgangsmaterial anregen lässt, das jedoch eine Vielzahl von Keimen für Formerfindungen in sich trägt. Der rheinische Surrealist Max Ernst, dessen Werk die Malerin immer sehr geschätzt hat, hat mit seinen Freunden mehrere bildnerische Verfahren entwickelt, um sich solche visuell vieldeutigen Vorlagen herzustellen. Letztendlich ließen sie sich dabei von dem alten Rat Leonardo da Vincis leiten, dass man in alten Mauern bei einigem Bemühen der Phantasie immer neue spannende Szenen entdecken könne, Landschaften, Schlachten - ein altes Hohelied auf die menschliche Einbildungskraft. Mit Graphit hat Max Ernst auf dünnem Papier die Maserung alter Dielenbretter durch gerieben und dies dann „Frottage“ genannt. Oder er hat ein Stück Papier auf einen mit frischer Farbe bedeckten Bildträger gelegt und dies dann wieder abgezogen, wobei filigrane Strukturen im Farbauftrag zurückbleiben, wofür man den Begriff der „Décalcomanie“, des „Abziehbildes“, erfand. Dies alles war jedoch nicht Selbstzweck, sondern diente zur Herstellung von Bildgründen, auf die sich der Künstler assoziierend bei der weiteren Ausgestaltung einlassen wollte - immer in einem bewusstseinsmäßigen Schwebezustand, der den Willen auszuschalten versuchte, sich stattdessen treiben ließ vom Strom der Assoziationen, die wie von selbst in unserem Bewusstsein zu Tage treten. Nur wenn man es vermag, diesen Einfällen unzensiert zu folgen, entsteht eine eigenartige neue alogische Bildschöpfung.

Und so können wir heute zwei Stadien des Fertigungsprozesses in Anne Kolvenbachs Werkgruppen unterscheiden: in einem ersten Schritt wird das Format festgelegt. Die Künstlerin bestimmt sozusagen ihr Aktionsfeld. Denn auf diesem werden in rhythmischer Weise mit unterschiedlich breiten Pinseln Farben aufgetragen. Dabei liegt das Trägerpapier auf dem Arbeitstisch, steht der Malerin also nicht auf einer Staffelei gegenüber. Es sind meist strahlende, kaum abgetönte oder gebrochene Farben in stark verdünnter, lasierender Form, wobei Warm-,Kalt- oder Komplementär-Kontraste oft eine tragende Rolle spielen. Dieser stark gestische Vorgang ist bestimmt von festgelegten Bewegungsmustern für die jeweiligen Farben und Pinselformungen. Ihre Platzierung geschieht regellos spontan. Aus der farbigen Spur jeder Bewegung, ob abgehackt kurz oder ununterbrochen lang, entsteht eine eigene gestische Form. Die aus den Gesten entstehenden Farbformen überlagern und durchdringen sich. Durch die Transparenz des Farbauftrages mischen sich die Farben optisch. Wird das Trägerpapier während oder nach dem Malvorgang in die Senkrechte hochgezogen, so beginnt dann und wann auch überschüssige Farbe in langen Bahnen über das Bildfeld zu verlaufen - ein ergänzender Eingriff, den Anne Kolvenbach immer wieder in ihren Bildern einsetzt.

In einer zweiten Phase reagiert die Künstlerin auf diesen Grundbestand an Formen, Farbflächen und Fließspuren und entfernt sich dabei von einer freien gestischen Setzung. Sie überdeckt Flächenabschnitte mit opak aufgetragener Farbe, akzentuiert Formteile oder ergänzt das vorliegende Formrepertoire um bewusst aufgetragene neue Motive - und dies immer angeregt durch das vorliegende gestische Vokabular. Oft kommt in dieser Phase auch ein mehr skripturaler Einsatz des Pinsels zum Tragen. Fast schreibend wird das Bild durch Pinselschrift um neue Ebenen bereichert. Mehr und mehr gewinnt es so an illusionärer Kraft. Raum öffnet sich, manche Formen werden auch zu eigenartigen Körper mit vieldeutigem, changierendem Charakter ausgedeutet. In einigen Bildern gar werden diese Bildmotive lesbarer, lassen Figurinen, Hütchen, Pavillons oder sogar menschliche Figuren erkennbar werden, Verweise auf Dinge, die der Künstlerin in Paris begegneten. Und auch Anne Kolvenbach hat das Wahrzeichen der Stadt, der immer noch imposante, vor allem nachts faszinierende Eiffelturm, nicht unberührt gelassen, wie man an der Werkgruppe „Sur les Champs-de-Mars“ unschwer erkennt.
Der vorherrschende Charakter der hier gezeigten Gemälde ist ein rhythmischer. Farben- und Formenrepertoire sind ganz einer pulsierenden Bewegung unterworfen, die die Werke durchzieht. Dass sie oft ein schlankes, langgezogenes Format haben, ist nur zu gut verständlich, da sich auf ihnen die rhythmisierte Bewegung am besten entfalten kann. Wie bei der Komposition eines Musikstückes stimmt Anne Kolvenbach in ihren bildnerischen Partituren die Bewegungs- bzw. Tonlinien aller unterschiedlicher Instrumente, sprich Pinselbewegungen, untereinander ab, um eine alles einende, schwungvolle, von Rhythmus durchpulste Melodie zu erschaffen. Musik habe sie schon in ihrer Kindheit als eine eigene Welt entdeckt, wollte unbedingt im Mundharmonikaorchester mitspielen und faszinierte sich dann für das Akkordeon, ohne dass die Eltern dieses Interesse geweckt oder gefördert hätten. Sich in eine eigene Welt einspinnen zu können, wie in einen schützenden Kokon, dass habe sie gesucht. Und als Kind oft auf dem Bett mit ein paar Bauklötzen eine ganze Welt entstehen lassen. Daran könne sie sich noch gut erinnern, auch wenn sie „ja schon länger jetzt alt sei ...“, wie sie lachend bemerkt. Später gehörte auch das Ballett zu dieser eigenen Welt, von dessen klassischer Ausprägung sie, als auch Sprechtheatererfahrungen hinzu kamen, zum Tanztheater überwechselte, dessen Protagonistin Pina Bausch sie überaus bewundert. Und natürlich habe sie auch in Paris Ballett-Aufführungen besucht!
„Ja, selbstverständlich Billie Holiday!, antwortet sie mir auf die Frage nach ihrer Lieblingsfigur in der Musik. „Für sie habe ich mich am längsten begeistert. Solche Gelassenheit! Sie sang, als ob sie es nur geschehen lassen müsste ... und es entstand Musik wie ein Teppich. Großartig!“

Und jetzt, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind Sie dran. Tauchen sie ein in die Werkreihen von Anne Kolvenbach, holen sie Paris-Erinnerungen vom Boden der Bilder hervor oder lassen Sie sich einfach vom Rhythmus der Wogen der Werke tragen, wenn Sie sich in ihren eigenen Paris-Schwelgereien verlieren.

© Thomas Brandt
 nach oben