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Dr. Gabriele Broens
Anne Kolvenbach „Denn, was innen, das ist außen“ - Malerei
02. März 2008, Galerie Splettstößer, Kaarst
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Sehr geehrte Damen und Herren,

Malerei bedeutet für Anne Kolvenbach, "alles zu machen, aber auch wieder in Frage zu stellen". Und gerade diese Selbstaussage definiert in toto das Oeuvre der Künstlerin, dessen Grundidee eigentlich paradox zu nennen wäre: Figuration und Abstraktion, Konstruktion und Zufall, Planung und Zerstörung, Automatismus und Bestimmtheit sind etwa Begriffspaare, die sich im Bild vereinen. Es ist eine Malerei, die sich reflektiert, das Innere nach außen kehrt und das Außen nach Innen dringen lässt. Das Eine schließt das Andere, wenn auch widersinnig, nicht aus.

Einen regelrechten Einstieg in die Ausstellung erfahren wir durch das großformatige Gemälde "Lounge". Eine latent ersichtliche Wendeltreppe entzieht sich ihrer Funktionalität durch Übermalungen und Zerstörungen. Hier manifestiert sich bereits das durchgängige Thema durch Verschiebung, Perspektiv- und Sichtwechsel. Diese Eigenschaft drückt sich in den folgenden Werken weiter aus. Wir haben das Gefühl, in den Zeitgeist der fünfziger Jahre versetzt zu werden. Hierfür sprechen in die Komposition eingebrachten Fragmente des Möbeldesigns, wie etwa der Nierentisch, der Teewagen und die typischen Tütenlampen. Die Grenzen von Interieur und Exterieur verwischen, "denn das, was innen, das ist außen", scheinbar klare Trennungen irritieren, Durchsicht täuscht. Die Vorspiegelung von Realität mutiert zur Unwirklichkeit.

Jeder allzu nahe Realitätsbezug wird vermieden. Verbirgt ein Vorhang die Sicht? Wo steht der Liegestuhl tatsächlich? Handelt es sich um einen Innenraum mit quadratisch gemustertem Teppich? Farbräume stoßen aufeinander und unterteilen das Gesamte in Vertikale und Horizontale.

Anne Kolvenbach favorisiert Farbphasen. Die Auswahl erfolgt nach emotional gesteuerten Gesichtspunkten. In der Serie der "Gärten von Cadaques" z.B. bevorzugt sie naturgemäß Grüntöne mit mediterranen Farbspielen. Vorherrschendes Blau charakterisiert die hier gezeigten jüngeren Arbeiten auf Papier. Gleichen Formates reihen sie sich zu Zyklen aneinander. Die Komposition eines jeden Blattes trägt sich durch Rhythmus und Bewegung. Nicht vorhersehbare Entwicklungen der Pinselstruktur stehen im Vordergrund und bestimmen die Aussagekraft. Gleichwohl abstrakt liefern sie dem Betrachter optische Assoziationen. Hier scheinen wir ein Treppengeländer, dort Segelboote und Florales wiederzuerkennen.

Dieses Thema der rechteckigen Längs- und Hochformate baut auf die Edition von kleinen Quadraten in Blaunuancen auf. Auch hier stellen sich trotz aller Abstraktion figurative Vorstellungen ein.

Den Hauptraum bilden drei große Gemälde aus verschiedenen Entstehungsserien. Man könnte sie als inhaltliche Abstraktion definieren, als gegenständliche Lesbarkeit in der Ungegenständlichkeit. Dies kennzeichnet gleichzeitig Anne Kolvenbachs Arbeitsprozess, der für sie mit Spannung erfüllt ist. Es geht ihr um die Balance zwischen Tektonik (also Gebautem) und Atektonik (Phantasie). Zufällig angeordnete Requisiten formieren sich so zu einem fast frei schwebenden Ensemble. Formen lassen mit einer Kaffeekanne, Eierbechern, obwohl sie als solche nicht intendiert waren, und Blumen auf einer gemusterten Tischdecke ein Frühstückstisch entstehen. Es dominiert der Perspektivwechsel in der Auf- und Seitenansicht. Helle, weiße Farbflächen verleihen dem Motiv südliches Licht.

Weniger schwer entzifferbar ist der Zirkus. Er entstand unter dem Eindruck eines Besuchs in Frankreich. Auch hier wechseln sich Abstraktion und Figürliches ab, wobei der Akzent auf Impulsivität liegt. Eine Magenta-Pulsader durchstreift die rechte Bildhälfte. Sie symbolisiert Aktion und Lebhaftigkeit. Ein Seiltänzer bewahrt das Gleichgewicht. Sein Ambiente sind rote, emotional auf den Bildträger aufgebrachte Farbtupfer. Im Zusammenhang des längs und quer gestreiften türkisfarbenen Untergrundes übernimmt die Zuschauertribüne in der linken Bildhälfte zwar eine inhaltlich stimmige Aussage, doch auch eine ordnende und strukturierte Aufgabe. Im gleichen Themen-Kontext entstanden quadratische Zirkusszenen, dieses Mal in einem ovalen künstlichen Scheinwerferlicht.

Die Künstlerin kommt bezüglich ihrer Ausbildung auch von der Skulptur. So erstaunt nicht, dass ihre Arbeiten zeitweilig plastische Formen aufweisen. Spiralen, röhrenartige Gebilde und dreidimensionale Erscheinungen tauchen in ihren Bildern vielleicht gar nicht mal so unbewusst auf. Punktuell kann man sie auch in "West End" entziffern. Hochgezogene Quadrate rufen die Frankfurter Skyline in Erinnerung, zeichenhaft durchquert ein Straßenband die Komposition, gipsfarbene Skulpturgebilde bereichern die Vorplätze: ein unter einem persönlichen Eindruck stehendes Bildmotiv, angerissen, angedeutet, nicht zu eindeutig und doch interpretierbar.

Anne Kolvenbach arbeitet in Zyklen. Ihre ,,Familiengruppen", wie sie sie nennt, finden sich in einer abgestimmten Hängung in diesen Räumen wieder. So kennzeichnet sich die Ausstellung durch eine klare Konzeption, die für den Betrachter abwechslungsreich und nachvollziehbar ist. Auch nachvollziehbar in ihrer als "gelenkter Zufall" zu beschreibenden Bildsprache: Sie kann eben so sein, muss aber nicht!

© Dr. Gabriele Broens
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