Texte
Dr. Kurt-Peter Gertz
Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Licht an“ 2019
Galerie Splettstößer, Kaarst


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Einführende Gedanken zur Kunstausstellung „Licht an“ von Anne Kolvenbach und Rainer Storck
in der Galerie Splettstößer (27.01.2019; Kaarst)


Ich begrüße Sie herzlich zu dieser Doppelausstellung von Anne Kolvenbach aus Neuss und Rainer Storck aus Bad Kreuznach; über die Biographie, die Ausbildung und die Ausstellungen der beiden können Sie einiges in den ausliegenden Katalogen und Schriften nachlesen; beide sind hier in der Galerie Splettstößer keine Unbekannten: für Frau Kolvenbach ist es die vierte Ausstellung hier und für Herrn Storck die dritte.
Bei einer Doppelausstellung stellen sich natürlich immer sofort zwei Fragen: Was verbindet die beiden in ihrer Kunst? Und: Was unterscheidet sie? Auf diese Fragen will ich abschließend eingehen; zunächst nehme ich beide einzeln in den Blick und fange mit der Künstlerin an.

Das Leitmotiv ihrer Kunst formuliert Frau Kolvenbach so: „Im Spannungsfeld zwischen Zufall und Konstruktion entstehen meine Arbeiten“; dabei ist sicherlich aufschlussreich zu wissen, dass sie sich zum Arbeiten in ihr Atelier zurückzieht und dann Musik hört – Jazz-Musik; diese Musik, die gleichzeitig aus Improvisation und Struktur besteht; diese Musik, die nicht festgefügt und manchmal spielerisch-frech erklingt.
Auf diesem spannungsreichen musikalischen Hintergrund entstehen die Arbeiten „zwischen Zufall und Konstruktion“.

Den Zufall provoziert die Künstlerin oft dadurch, dass sie Farben auf die Leinwand oder das Papier schüttet; und dann durch Drehen oder Kippen oder Anhalten der Grundfläche die Fließgeschwindigkeit der Farben beeinflusst.
Dann kommt es zur Konstruktion, indem die entstandenen Linien und Gebilde assoziativ hervorgehoben oder verdeckt werden und indem weitere Bereiche der Grundfläche mit Farbflächen überzogen werden, wodurch weitere Spannungselemente, aber auch gewisse Stabilitäten entstehen.

All dies geschieht nicht nach einem vorher festgelegten Plan, sondern ist das Ergebnis von längeren Reaktionen auf die Wirkungen von Fläche, Linie, Rhythmus und Bewegung.
Zur inhaltlichen Assoziation von Zufall und Konstruktion bemerkt die Künstlerin: „Der von mir evozierte Zufall steht für die äußere Welt, natürlich nicht im abbildhaften Sinne. Die Konstruktion ist im Hinblick auf diese ‚äußere Welt‘ die Reaktion auf sie und die Verarbeitung derselben. Für mich ist dieser beschriebene Arbeitsprozess ein Ausdruck der Freiheit.“

Schauen wir uns nach diesen allgemeinen Hinweisen ein konkretes Kunstwerk an: „Nachtleuchten Nr. 1“, 2018 entstanden, Acryl auf Leinwand, im quadratischen Format von 1 x 1 m (Nr. 36). Dieses quadratische Format ist charakteristisch für die zuletzt entstandenen Arbeiten (lediglich im Flur gibt es einige extrem hoch- oder querformatige Werke); das Quadrat erinnert an Harmonie und Ausgewogenheit; gleichzeitig hat es auch einen Bezug zur „Welt“: die vier Himmelsrichtungen, die vier Jahreszeiten, die vier Winde ...
Dieses Quadrat wurde von der Künstlerin mit schwarzer Acrylfarbe überzogen; Schwarz spielt auf den neueren Arbeiten eine besondere Rolle; zu dieser Farbe hat Kandinsky einmal geschrieben (in: Über das Geistige in der Kunst): „Das Schwarz ist etwas Erloschenes, wie ein ausgebrannter Scheiterhaufen, etwas Unbewegliches ..., was zu allen Ereignissen nicht fühlend steht und alles von sich gleiten lässt. Es ist wie das Schweigen des Körpers nach dem Tode… Das ist äußerlich die klangloseste Farbe, auf welcher deswegen jede andere Farbe, auch die am schwächsten klingende, stärker und präziser klingt.“
Beides können wir auf der Arbeit „Nachtleuchten“ nachempfinden: der düstere, dunkle, nacht-volle, todes-assoziierende Untergrund und das dadurch besonders hervorgehobene Leuchten anderer Farben.

Dieses Leuchten hat Frau Kolvenbach zunächst einmal dadurch hervorgebracht, indem sie drei weiße Acryl-Kleckse auf den dunklen Untergrund getropft hat und dann der Farbe durch Drehen und Kippen und Anhalten dem Zufall freien Lauf gelassen hat; dadurch sind die weißen – manchmal sogar parallelen - Linien entstanden.
Dann hat sie konstruktiv den unteren Bereich von links nach rechts mit einer breiten hellgelben Lasur überzogen, wodurch das Schwarz und die weißen Linien einen neuen geheimnisvollen Klang bekommen. Über den mittleren Bereich hat sie ein ähnlich breites Farbband in hell-blau gelegt, das das Schwarz intensiviert und den weißen Linien ihre Dominanz nimmt.

Bemerkenswert ist, dass sowohl die Zufallslinien wie auch die konstruktiven Farbänder über die Begrenzung der Leinwand hinausreichen bis auf die Kanten der Leinwand und somit in die Umgebung, in die Außenwelt über- und eingreifen.
Als zusätzliche konstruktive Elemente hat Frau Kolvenbach dann im oberen Bereich noch zwei Farbriegel in dunkel-blau und orange gesetzt, wobei vor allem der orange Riegel einen Fixpunkt für das Auge bietet. In diesem Riegel sind die weißen Zufallslinien nochmals farblich anderes gefasst (in gelb), ebenso wie in dem dunkel-blauen Riegel, wo die Zufallslinien orange markiert sind; so entstehen gewollte konstruktive Beziehungen.
Vielleicht ist an dieser Arbeit etwas von dem deutlich geworden, was Frau Kolvenbach mit „Zufall und Konstruktion“ meint.

Zu Herrn Rainer Storck: Sein Grundmotiv hat er einmal so formuliert: „Über die leise Begegnung von Papier und Zeichnung“; von ihm ist interessant zu wissen, dass er sich zum Arbeiten in sein Atelier in Bad Kreuznach zurückzieht und dann konzentriert die Stille dieses Raumes auf sich wirken lässt; das kann bis zu einer Stunde dauern, ehe er mit dem Arbeiten beginnt.
Zu seinem Arbeitsprozess – ausschließlich mit Papiersorten – hat er sich einmal geäußert: „Büttenpapiere unterschiedlicher Grammatur und Körnung, Zeichenpapiere und gelegentlich Packpapier klebe ich zu großen Formaten zusammen und bearbeite sie mit Bleistift, Farbstift, Acryl– und Aquarellfarbe. Dann zerreiße oder zerschneide ich die entstandenen Verbindungen, klebe die erhaltenen Papierstücke zu einer neuen Komposition zusammen und bearbeite sie wieder. Oft entferne ich störende Teile oder klebe passende Stücke an oder auf. Diese Arbeitsschritte verursachen Einrisse, Faltungen, Knicke, Wellen, Ausfransungen, Einkerbungen und Einschnitte. In diesem Arbeitsprozess, der zwischen drei Tagen und einem Jahr in Anspruch nehmen kann, entwickelt sich mit der Zeit ein vielschichtiges, neues Gefüge. Durch Schnittkanten entstehen Linien. Aufgesetzte Zeichnungen und aufgetragene Farbe beschreiben Flächen. Aus den noch großen ‚Rohlingen‘ wähle ich dann Formate, die durch eine letzte Bearbeitung zu meinen Bildern werden.
Überschneidungen und Überlagerungen fügen sich zu Bildebenen, in denen der Betrachter die Perspektive orten und seine Position definieren muss. Aus dem Zusammenwirken von Linien und Flächen bilden sich helle, meditative Räume ...“ (aus: Linien, Flächen, Räume).

Und an anderer Stelle hat er zu seinen Arbeiten formuliert: „Meine Farben sind das Weiß. Meine Bilder sind Grenzerfahrungen des Sehens – ein Leerraum, fast Nichts.“ (aus: Mein unbetretenes Land)
Zu der unbunten Farbe „Weiß“ hat Kandinsky einige Bemerkungen gemacht, die auch hilfreich für das Verständnis der Arbeiten von Herrn Storck sein können: „Weiß wirkt auf unsere Psyche als ein großes Schweigen ... Es ist ein Schweigen, welches nicht tot ist, sondern voll Möglichkeiten. Das Weiß klingt wie Schweigen, welches plötzlich verstanden werden kann.“ (in: Über das Geistige in der Kunst).

Schauen wir uns eine Arbeit näher an: Ohne Titel, entstanden 2016, Mischtechnik auf Papier, 54 x 54 cm (Nr. 35; abgebildet auf der Einladungskarte).

Auch bei Storck nähern sich die meisten Arbeiten einem quadratischen Format und sind quadratisch gerahmt (lediglich im Nebenraum und im Flur gibt es vereinzelte Querformate); dabei sind es im eigentlichen Sinne keine Bilder, sondern mehr Objekte, flache Reliefs, die in geringem Abstand vor den weißen Passepartout-Untergrund gesetzt sind, dadurch Schatten werfen und wie Fundstücke erscheinen.

Bei der angesprochenen Arbeit fällt zunächst ein Quadrat ins Auge, das etwas nach rechts versetzt von der Mitte platziert ist; für Storcks Arbeiten ist es ungewöhnlich farbig – wenn natürlich auch sehr zurückgenommen; kleine farbige Acryl-Flecken und kleine horizontale und vertikale Bleistiftstriche strukturieren dieses Mittel-Quadrat; außerdem finden sich darauf abgerissene Papierfetzen: eine kleine Decollage; dieses Mittel-Quadrat (das ursprünglich eine selbständige Arbeit war) ist in einem ersten Arbeitsschritt auf den Untergrund gesetzt worden.
Oben und unten wurde dieses Quadrat dann von zwei horizontalen schmaleren Büttenpapierstreifen eingefasst; diese wurden dann rechts und links durch zwei breitere vertikale Streifen überlagert; dann wurden sowohl oben wie unten waagerechte Streifen überklebt, die von Bildrand zu Bildrand reichen; oben ist es satiniertes unstrukturiertes Büttenpapier, bei dem die ursprüngliche zerfaserte Kante belassen wurde; unten ist es dickeres Büttenpapier, dessen harte Kante mit einem Seziermesse geschnitten wurde; kleine Bleistiftstriche (wie Nähte) verbinden dieses Papierstück optisch mit den horizontalen Stücken; schließlich wurden auf das obere waagerechte Büttenpapier zwei kleinere schmale Papierbänder aufgeklebt, die in der Mitte durch einen „Riegel“ zusammengehalten werden; dieser „Riegel“ ragt ein wenig über die Bildkante hinaus, sodass die gesamte Arbeit lediglich drei glatte Kanten hat; auf das untere waagerechte Büttenpapier wurden ebenfalls einige schmale Papierstreifen aufgeklebt, wobei sich rechts von der Mitte noch ein kleines dickeres Quadrat erhebt; auf den schmalen Papierstreifen oben und unten sind geheimnisvolle Zeichen markiert, die nicht zu entziffern sind, sondern im Unbestimmten bleiben (es gibt sogar eine Arbeit – Nr. 33 – die den Titel „Das Geheimnis“ trägt).

Die Arbeit ist also stringent komponiert und strukturiert und in mehreren sich überlagernden Schichten und Lagen (hier wohl 7 Lagen) prozesshaft aufgebaut, so dass sich die Struktur vom Untergrund nach „oben“ immer mehr erhöht bzw. umgekehrt der Blick von den Rändern hin zur Mitte in kleinen Stufen hinab geführt wird.
Die gesamte Komposition besteht aus Zufälligkeiten (ausgefranste Ränder) und Geplantem; aus Undefinierbarem (Hieroglyphen) und Begrenztem (Quadrat); aus verhaltenen Farbakzenten und leicht unterschiedlich getöntem Papier; aus rauhen und Inhaltlich können diese Arbeiten Akzente setzen gegen die Reizüberflutung unserer Zeit. Sie können Assoziationen wecken an helle, weite Landschaften oder weiße Architekturen; „und es kann geschehen – wie der Künstler es mal formuliert hat -, dass man pure Räumlichkeit entdeckt – zum Greifen nahe.“

Das Verbindende der Arbeiten von Frau Kolvenbach und Herrn Storck kann sicherlich mit den Stichworten „Zufall“ und „Konstruktion“ oder „Ungeplantes“ und „Geplantes“ oder „Ungewolltes“ und „Gewolltes“ oder „Irrationales“ und „Rationales“ umschrieben werden.

Die Ergebnisse sind dabei recht unterschiedlich:
Die Arbeiten von Frau Kolvenbach kann man mit Begriffen charakterisieren wie: dynamisch, kreisend, farbenfroh, aktiv, lebendig, eruptiv, fließend, kontrastreich, rhythmisch, musikalisch ...
Die Arbeiten von Herrn Storck mit Begriffen wie: ruhig, beruhigend, meditativ, geheimnisvoll, haptisch, still, kontemplativ, lyrisch ...
Somit spiegeln die Arbeiten der beiden zwei verschiedene Zugänge zur Wirklichkeit wider; natürlich nicht zwei verschiedene Abbilder der Wirklichkeit (in ihrer Nicht-Figürlichkeit), sondern zwei Grundschwingungen der Wirklichkeit: nämlich die Lebendigkeit der Welt (bei Kolvenbach) und das Geheimnis in der Welt (bei Storck); man kann es auch auf die Zuordnung und den Gegensatz von „Aktion“ und „Kontemplation“ bringen; beides ist wichtig, notwendig und hilfreich im Leben; beides vermittelt auch positive, aufbauende, bejahende Lebensprinzipien.

Und damit sind wir am Schluss noch kurz bei dem Titel dieser Ausstellung: „Licht an“; dieser Titel will den lichtvollen, erhellenden, aufleuchtenden, positiven Charakter aller Arbeiten andeuten; und durch seinen auffordernden Charakter Mut machen, sich von dieser bejahenden Sicht der Wirklichkeit anstecken zu lassen.

Dazu wünsche ich Ihnen jetzt viel Freude und Besinnung; und danke für Ihre Aufmerksamkeit!

© Dr. Kurt-Peter Gertz
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