Texte
Gabriele Uerscheln
Direktorin der Museen Corps de Logis und Museum für
Europäische Gartenkunst, Schloss Benrath, Düsseldorf
Zur Ausstellungseröffnung Anne Kolvenbach „stop and go“
am 12. Februar 2010 in Flensburg, Kunstverein Kunst & Co, Flensburg
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Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Damen und Herren des Vorstands von Kunst & Co,

Was erzählen? Was festhalten? Was aus dem mächtigen Strom der Zeit heben, ins Werk setzen und dabei nicht im Subjektiven verharren?
Um nicht mehr, aber auch um nicht weniger geht es, als aus künstlerischer Sicht die alles entscheidenden Demarkationslinie zum Objektiven zu überwinden. Kann doch nur so ein Kunstwerk in einen Dialog mit seinem Betrachter treten.
Und: Wie dabei die eigene Subjektivität doch nicht außer Auge lassen?

Seit Abschluß ihres Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf präsentiert die Künstlerin Anne Kolvenbach ihre Arbeiten in Einzel- und Gruppenausstellungen regelmäßig der kunstinteressierten Öffentlichkeit. Das breite Themenspektrum ihres bis heute zu beeindruckendem Umfang angewachsenen Oeuvres war schon früh geprägt von einer unverwechselbaren, charakteristischen künstlerischen Handschrift. - Aktuell arbeitet Anne Kolvenbach an einer Folge von Bildern, die sie titelt mit ‚Go and Stop!’.

Zunächst könnte man meinen, daß sich unter dieser Überschrift ‚Go and Stop!’ ihre gesamten Bilder der letzten Jahre rubrizieren lassen könnten. ‚Go and Stop!’ oder ‚Passagen’ - eine Werkfolge aus der jüngsten Vergangenheit - wo ist der Unterschied?

Schauen wir, sehr geehrte Damen und Herren, auf die große Arbeit ‚Zurück und vor’: mehrere Tableaus, aneinandergefügt, zueinandergeführt, jedes verbindet sich mit dem anderen und entwickelt sich zugleich in eine andere Richtung, ohne aus dem Rahmen zu fallen. Ein großer Erzählfluß mit Facetten von Welt, gehoben aus der Erinnerung. Da gibt es eine Ordnungsmatrix mit vordergründig exakt voneinander abgegrenzten Rechtecken, die den Bilderfluß zu Räumen kartographiert. Leicht schimmernde Lasuren klingen zu hellen Farbakkorden auf, dann wieder gibt es opake Verdichtungen von Pigmenten, die kein Durchdringen erlauben. Der betrachtende Blick, der versucht, Richtungszüge einzuschlagen, scheitert. Schnell wird deutlich, daß die ‚Passagen’ der Künstlerin ein konkret zielorientiertes Durchstreifen der Bildräume nicht zulassen.

Ein scheinbar neu auftauchendes Ornament für ein Bezeichnetes erinnert an eines, das zum kurzen Innehalten in einem anderen Bildraum verführt hat. Vom ‚Rechts’ und ‚Links`, vom ‚Oben’ und ‚Unten’ im Bilde zu handeln, gelingt nicht: Beim Zurück und Vor zum Wieder- und Neuentdecken offenbaren sich Brückenschläge, Wiederholungen, Verdrängungen.

Der Blick gerät in die Eigengesetzlichkeit eines ästhetischen Spiels, das in seiner heiteren Ernsthaftigkeit vom Genießen lichtgesättigter Farbigkeit, dem fragilen Miteinander von Lebensräumen und der Gefahr des Zerreißens von Ordnungsgefügen erzählt.
Ebenso heiter wie ernst votiert die Künstlerin Anne Kolvenbach gegen eine Vermessung von Welt in gültig erklärender Absicht.
Linien, ohne Körper, graphisch streng, ufern aus zu malerischen Farbstreifen und –bändern. Raum, dreidimensional, verdichtet sich zurück in eine zweidimensionale Farbfläche.

In Ebenen eines unbestimmten ‚Zwischen’ immer wieder auftauchend die seismographisch getakteten Aufzeichnungen lebendigen Erkundens und erinnerter Abbildfragmente von Wirklichkeit. Narrativ, aus eigener Welt schöpfend und doch so abstrahiert vom Subjektiven, daß dem Betrachter Raum bleibt für eigene Assoziationen.
Anne Kolvenbach schöpft mit ihrer unverwechselbaren Handschrift aus dem ‚großen Fluß’, stets wiedererkennbar ihr ‚Erzählstil’, dabei immer neu, schöpferisch variiert.

Und nun also ‚Go and Stop!’.
Die Bildmatrix schwankend, fließend, amorphe Bewegungs-‘Fetzen’ in dunklem Grund. Keine Linie, keine Kontur gibt Festigkeit oder erzeugt Formen im Bodenlosen. In diesem Vorüberziehenden, Vergänglichen, können nur strenge Chiffren für ‚Stop’ Einhalt gebieten: Kleinformatige Rechtecke verhindern den Blick ins Bodenlose, sie sind geschlossene opake Farbflächen.
Doch auch hier ein Sowohl-als-auch: Andere Rechtecke sind transparent, lassen den Blick in den Grund zu. Stoff, ungeformt, und Form, gestalteter Stoff , treffen aufeinander.

Was, wenn man sich hier im ‚Zwischen’ des ‚Weder-noch’ verliert?
Wie entstehen solche Tableaux? Eine unmöglich zu beantwortende Frage, natürlich. Auch das Wissen um Lebenssituationen der Künstlerin in den letzten Jahren hilft nicht weiter, denn die Bildwelten von Anne Kolvenbach evozieren nicht ich-, sondern weltzugewandtes Sehen.

Doch gibt es einen Begleiter bei ihrer Arbeit, der angesprochen werden muß: die Musik! Anders ausgedrückt: Getaktete Naturmelodie. Musik, Entlastung vom Begriff, ist eigens thematisiert u.a. im Bild ‚querflöten’ aus 2008. Heiter farbige Notenlinien zügeln eine vehement sich einrollende Lebensspirale. Die Links-Richtung läßt aufmerken, ist sie doch nach tradierter Ikonographie eben nicht die Lebens-, sondern die Todesspirale. Mit scheinbar leichter Hand wandert die Künstlerin auch hier durch Abgründiges, das sich mit dem Heiteren verbindet, ohne ‚platte Tröstung’ sein zu wollen.
In ‚Rhythm is it’ von 2007 durchpulsen Zeichen für Taktung, aus festem Liniengefüge ausbrechende Noten und seismographische Aufzeichnungen die strenge Ordnung geregelter Abschnitte, die auch als Lebensabschnitte gesehen werden können.

‚Go and Stop!’: Lassen Sie sich, sehr geehrte Damen und Herren hiervon leiten. Ich darf uns allen einen schön-guten Dialog mit Anne Kolvenbachs Bildern wünschen und bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

© Gabriele Uerscheln
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