Texte
Giovanni Tamanaco
Wesseling am 31. März 2012
Anne Kolvenbachs Rollbilder-Installation
in der Scheune des Kunstvereins Wesseling
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Der Raum lastet schwer. Der Raum hält die Zeit außen vor. Ohne Zeit keine Bewegung über den Boden hin oder aufwärts zu dem sich auf weißen Mauern aufstemmenden Dachgestühl, dessen Dunkelholz sich hochhinauswölbt in lauter Lichtlosigkeit. Vereinnahmend - erdrückend - isolierend. Ein vereinzelter Besucher verlöre sich in lauter Raum, beträte er den Schwingeler Hof in Wesseling an dessen kunstfreien Tagen, verharrte im Schreck, den der leere Raum auslöst mit ewiger Erstarrung drohend. Da dieser kaum ausschreitbare Raum aber nicht leer geblieben ist, sondern bemalte Papierbahnen in unterschiedlichsten Breiten die Wände hinabfließen und aufwärtsklettern, das dunkle Dach mit farbigen Attacken herausfordernd, genießt der Besucher, wie Anne Kolvenbachs Kunst das Spiel mit der Bedrohung aus Starre und Zeitlosigkeit aufnimmt und auf befreiende Weise verkehrt in ein unverhofftes Glücksversprechen.

Kelch- und kegelförmige Papiererhebungen schlingern in Paarungen und Gruppen in puderweißer oder aber trüffelnussbrauner bis schwarzer Färbung über die dreihundert Quadratmeter, auf denen der Scheunenboden sich ausspannt. Scheinen aus der Fläche aufzuwachsen in Drehbewegungen, die sich fortsetzen in den breit sich ausspannenden Papierbahnen, deren Fluss aus der Höhe bis über den Boden hin die Bedrohung durch Erstarrung und Leblosigkeit aus diesem Scheunenraum verbannt und heftiger noch durch ihre Farbigkeiten den durch nichts einzuschüchternden Tanz der vielfältigsten Formen den Scheunenraum erfüllen lässt. Das Ungleichmaß kurvender Grün- und Orangebänder, begleitet und konterkariert von schwarzen Pinselschwüngen schmallippig und breitflüssig, einfangend runde und ovale Farbinseln schlingernd und flüchtig. Die Wiederholung eines Klanges, einer Tanzdrehung als farbiges Ereignis, das Davonschliddern und das Zurückholen des beinahe Enteilten, so setzt Anne Kolvenbach ihre Papierbahnen in den Weiten der Schwingeler Scheune ins Spiel, mal eher mit vermehrten Schwarzanteilen an die gebannten Schrecken des ungestalteten Nichts erinnernd, meist aber aufgehellter das Glück versprechend, das alle Kunst bei sich trägt, die sich dem bloßen Abbilden von Gegenständlichkeiten verweigert. Konfrontation mit Farbigkeiten, Formen und Fließbewegungen, Sturz im Flug - und zugleich - kontinuierlich im Werk Anne Kolvenbachs Synästhesie: im Schauen wird alles Ton. Farben und Formen schlagen im Ohr des Betrachters aneinander und erzeugen Ton, Musik, Rhythmus, Melodie und Paukenschlag, Sphärenklang und Kreischton, da wird die Grabesruhe eines leeren Raumes hinweggefegt von farbgetauchten Pinseln einer Malerin.

Die Malerin Anne Kolvenbach hat sich entfernt, der Betrachter verweilt in der 1788 gegen das Packeis des Rheines errichteten Schwingeler Scheune in lauter Bildern, ist Blick und ganz Ohr.

© Giovanni Tamanaco
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