Texte
Ekkehard Drefke
Rede zur Ausstellungseröffnung Kunstverein Wesseling
Anne Kolvenbach . Rollbilder im Raum - Malerei auf Papier
4. März bis 1. April 2012 in der Scheunengalerie im Schwingeler Hof,
50389 Wesseling-Keldenich, Schwingeler Weg 44 - 46
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Meine Damen und Herren,

wenn ich Lektor von Frau Kolvenbach wäre und sie hätte diese Gestaltung als lyrischen Text vorgelegt, hätte ich dieser Arbeit den Titel „African Blues“ gegeben.
Während der Abfassung meiner heutigen Einführung habe ich mir die Musik von Billie Holiday angehört - tatsächlich, eine recht melancholische Stimmung, aber eine, die einen, wenn man sie beim künstlerischen Arbeiten im Hintergrund hört wie Frau Kolvenbach, spannungsmäßig in der Schwebe hält, einen Balanceakt unterstützt, der bei den vielen Kontrastwelten und Ausdrucksantrieben für das Gleichgewicht in der eigenen Gestimmtheit hilfreich sein kann, mal abgesehen von dem afrikanischen Blues-Sound.
Damit sind wir schon in der Innenwelt zum Verständnis dieser beachtlichen Leistung, die Frau Kolvenbach ganz aktuell für uns im letzten Vierteljahr zustande gebracht hat. Ihre besondere künstlerische Leistung besteht darin, dass Sie
1. die rustikale Wesselinger Scheune raumadäquat in einen reichen Fächer von Vorstellungswelten
    verwandelt hat,
2. mit dem harmlosen Material Papier kraftvolle Wirkungen erzeugt hat,
3. ihre künstlerische Handschrift für einen in ihrem Repertoire bisher fehlenden Stimmungsaspekt
    von Heiterkeit und Esprit erweitert hat
4. und last not least die vor Ort bestehenden technischen Probleme bei Hängung und Befestigung
    der Papierrollen meisterhaft gelöst hat.

Die Künstlerin hatte schon Installationen 1998 im Werkzeugmuseum in Remscheid und 2001 in der Orangerie von Schloss Augustusburg, Brühl, die speziellen Räume - Museumsraum / barocke Gartenhalle - als anregendes Raumrepertoire ausgewählt und sich auch hier in intensiver Korrespondenz zu den jeweiligen räumlichen Gegebenheiten gestalterisch eingefühlt, mit der Gliederung der Wandpfeiler, dem länglichen Grundriss, dem Spitzdach und den kegelförmigen Lampen einschließlich der Bewältigung der eher düsteren Stimmung von Decke und Boden.

Diese beiden Vorgängerversionen, in denen auch Rollbilder / Bildbahnen eingesetzt wurden, sind wichtige Vorarbeiten für die Wesselinger Lösung gewesen. Dort wurden auch skulpturale Objekte zur Raumgliederung mit Malerei auf Rollbildern eingesetzt. Den Part der damals gummiartigen Objekte stellen hier die kelchförmigen / kegelartigen Gebilde auf dem Boden dar.
Kunsthistorisch greift Frau Kolvenbach zurück auf die seit den 60er Jahren bekannte und verbreitete Gestaltungsmethode der Installation, die sich seit der Erfindung Anfang des Jahrhunderts von u.a. Kurt Schwitters und Marcel Duchamp in Form a) räumlicher, b) objekthafter, c) malerisch-grafischer oder d) multimedialer / performativer Ausprägung entwickelt und ausdifferenziert hat.
Bekannter geworden sind in diesem Zusammenhang Arbeiten von Gregor Schneider / „Haus u r“ in Rheydt und auf der Biennale in Venedig und Katharina Grosse, von der Akademie Weißensee Berlin nach Düsseldorf in eine Professur berufen in raumbezogener Form, von Rentmeister (eben noch im Kunstmuseum Bonn) und Slotawa mit objektartigen Gebilden und von Matthew Ritchie, dem New Yorker Künstler, einem internationalen shootingstar der Kunst, auch 2007 im Bonner Kunstmuseum vertreten, mit seinen überbordenden malerisch-grafischen Wucherungen, die teilweise ins Figurative hineinreichen. Also ein großes Feld der Gestaltungsmöglichkeiten, von denen Anne Kolvenbach eine individuelle, ganz eigene Sprache mit den räumlichen Möglichkeiten, objekthaften Elementen und einer malerischen-skripturalen Bildsprache entwickelt hat.
Für Wesseling mit der Scheunengalerie gibt es mit der Arbeit von Anne Kolvenbach hier erstmalig eine Raumgestaltungsversion, die von Anfang an das Erscheinungsbild dieser Ausstellungshalle mit einbezieht, ja ausdrücklich eine künstlerisch-individuelle Lösung anstrebt, die nur für diesen Ort Gültigkeit hat und woanders nicht passen würde. Frau Kolvenbach hat sich den Raum in seiner Wirkung zu Beginn Ihrer Ausstellungsbesprechung vor Ort ausführlich angesehen, seine Geschichte und Nutzung erläutern lassen und daraufhin ihre Planung begonnen, wir erleben also eine Premiere.

Jetzt zum zentralen Gesichtspunkt der Gestaltung, der Bildsprache von Anne Kolvenbach.
Zunächst aus der Perspektive Ihrer z. Zt. statischen und eigentlich inadäquaten Betrachter-Position: Die Wände sind gegliedert im Wechsel von15 unterschiedlich großen Rollbildern, meist an den Pfeilerstellen akzentuiert, 2 großen Papierbahnen, den Raum teilend, 7 thematischen Arbeiten und kegelförmigen Gruppierungen, die die Lampenformen und die spitzwinklige Dachkonstruktion aufnehmen. Die Grundidee - weitgehend intuitiv und assoziativ beim Besichtigungserlebnis des Raums entstanden - besteht darin, den Raum und das Erlebnis des Raums in Korrespondenz zur Installation beim Durchqueren erfahrbar zu machen. Dabei wird die eher dunkle Gegebenheit von Boden und Decke durch farbleuchtende Gestaltungs-Elemente zum „Strahlen“ gebracht. Die Gesamtwirkung von Leichtigkeit und gleichzeitig farbfroher Vitalität entsteht auch durch die gezielt nicht überladene Hängung, das Material Papier und die arabesken-durchwobene Einzelgestaltung.
Wichtiger und aussagespezifischer ist nicht die statische Betrachtungsweise, sondern, entsprechend dem künstlerischen Konzept: Der Bewegungsaspekt. Danach müsste mein Titel eigentlich erweitert etwa lauten: African Blues by Walking.

Schon die Herstellung und Darbietung aller Einzelarbeiten erfordert buchstäblich und auch physisch einen dynamischen Einsatz - beim Auftragen der Farbbahnen mit riesigen Pinseln agiert die Künstlerin mitten in den riesigen Farbbahnen und bei vielen Grafismen und weit ausholenden Farbzügen darf man sich eine fast sportlich-tänzerische Aktion vorstellen, zumal die Arbeit nicht nach Vorplanungen, sondern spontan aus dem Augenblick mit sehr zielsicheren Reaktionen auf entstandene Mal- und Linienspuren entwickelt wird. Stellen Sie sich also beim eigenen Bewegen durch die Scheune, sich am besten zunächst durch die Mitte des Raums bewegend, die einzelnen Rollbahnen immer im Ablauf vor, lesen sie diese in aktiven visuellen Such- und Tastbewegungen ab, dann haben Sie ein Äquivalent der gemeinten Arbeitsweise und ihrer Wirkung, wie ihn sich die Künstlerin vorstellt. Die oft riesigen Schleifen und Girlanden bedingen oft eine geradezu artistische Leistung, da Körperhaltung, riesige Werkzeuge und oft auch begrenzte räumliche Gegebenheiten sehr viel Übung und handwerkliches Geschick zum Erreichen der beabsichtigen Spuren erfordern mit entsprechender physischer Kondition.
Sie durchschreiten also den Raum von Ihrer jetzigen Position von helleren Partien zu teilweise dunkleren Kontrast-Zonen. Die spezifische Wirkung der Formenwelt kann man vor allem auf den größten Farbbahnen an der Stirnwand in der Wucht der Pinselschwünge mit den vielen ablaufartigen Bildzeichen nachvollziehen: Planetenbahnen oder Satellitenspuren im All, aus Tunneln herausschießende Farbahnen, sich kreuzende, aufgehaltene Raumvorstöße und deren unfassbare teilweise Auflösung oder Kontrastierung mit Herumirren und Zirkeleffekten und dann immer wieder Ruhe bietende Stellen / Orte nach schwindelerregenden Pirouetten.
Die Wegverläufe entfalten sich dann auch insgesamt einmal in der Senkrechten an den Wänden und werden am Boden nicht nur von Rollbahnen, sondern auch in den kelchartigen, zeltförmigen Bodenwellen und –schwellen in der Horizontalen fortgesetzt.

An diesen Gebilden und in den Themenbildern sind bildsprachlich immer wieder Gegensätze von geometrischen Grundformen und Übermalungen oder skriptural ganz spontan erzeugten Bewegungsspuren wahrzunehmen. Das entspricht dem durchgängigen Konzept der Kontraste von statischer Festlegung zu Lebendigkeit, dann auch von Vertrautheit und Fremdheit, Nähe und Distanz in der Formensprache und -wirkung.
Neben diesen wegartigen Farbbahnen sind viele Elemente skriptural, die von ihrem spontanen Entstehungsprozess her das strenge und einförmige Raumgefüge individualisieren, Zonen der Exaltation, der Heiterkeit werden erzeugt, vor allem im Zusammenhang mit der Farbfreudigkeit der Kontraste des lebensfrohen Rot-Ocker mit dem Türkis-Blau, die auch als Faktor der Selbstbehauptung gegenüber den dunklen Farben von Boden und Decke des Scheunenraums eingesetzt sind. Schwere und Leichtigkeit, ein weiterer Gestaltungs-Aspekt stehen immer wieder im Kontrast zueinander.
Immer wieder sind auch Bildzeichen aus der Realität, vor allem in den Themenbildern zu entdecken, was die Titel schon meist vorgeben: Flussläufe, Berg-Höhenlinien-Gradienten, Fensterausblicke ins All, Labyrinthe, Kindliche Figurinen wie bei Paul Klee oder zirkusartige Artistik. Ein Wort ist noch zu den Musterungen, vor allem der schmalen Rollbahnen, hinzuzufügen: Die variantenreiche, auf mich folkloristisch anmutende Geometrie ist bewusst als Halt gebender Kontrast zu den oft überbordenden lebensprallen Verschlingungen eingesetzt, auch hier wieder ein Kontrast.

Bezogen auf das Konzept, Wegartiges, das Auge Lenkendes, in den großen Farbbahnen zu initiieren, können die spiraligen, eigenwillig verknoteten Formgirlanden und -arabesken auch als choreographische Bewegungsabläufe nachempfunden werden. Wege sind bei Anne Kolvenbach als Reisewege, Lebenswege zu verstehen und in diesem Analogcharakter sehr assoziationsreich erfunden. Tanz-Choreographien (z.B. von Pina Bausch), Musik aus stimmungsmäßig passenden Phasen der Jazzentwicklung und im Alltag angesiedeltes Gestisches sind der Künstlerin bei ihrer Gestaltung ständig präsent. Die Gesamtwirkung in der Farbigkeit enthält mit den dominierenden Tönen Gelb-Grün, Orange-Rot, Türkisblau etwas Landschaftliches mit viel Blühen, Blüten und Sonnen darin, so dass der ganze Raum fasst in ein festliches, auf jeden Fall freundliches Erstrahlen getaucht ist.
Für die Beantwortung der Frage, die immer gestellt wird, was die Künstlerin sich an Wirkungen vorstellt, welche Reaktionen beim Betrachter sie auslösen möchte, darf man durchaus auch einiges an Irritation und Querdenken, ironisch Gemeintes mit einbeziehen: Die dynamisch organhafte Farb- Formentfaltung ist nicht dem Raum angepasst, sondern als Kontrast gegen seine rustikale Alltäglichkeit gedacht. Die vielen Ausweich- und Stolperstellen beim ungezwungenen, entspannten Betrachten während des Durchschreitens der Scheune sind ausdrücklich beabsichtigt. Dem banalen Scheunenraum so viel festliches Strahlen und heitere Formenspiele zuzugestehen, ist auch in gewisser Weise ein ironischer Touch, der andererseits auch sofort wieder von den bodenständigen oft dunklen Zeltgebilden am Boden aufgefangen wird. In ihnen ist nicht nur das Nomadenthema des ständigen Ortswechsels - ein Bewegungsaspekt, sondern auch der Bezug zu Afrika mit dem vielen Schwarz-Weiß in den Farbbahnen enthalten.

Plaudernd und in gemütlichem Small-Talk ist die Gesamtwirkung und sind auch die überlegten virtuellen und konkret durchgeführten Bewegungen im Raum nicht erfahrbar. Falls Sie also nachher ein wenig genervt sind, wenn Sie nicht alles sofort so wahrnehmen können, wie Sie es alltäglich gewohnt sind, auch in Rücksichtnahme auf andere Betrachter, sehen Sie das als durchaus beabsichtigte Planung der Künstlerin an, die auch solche Reaktionen der Diskrepanz mit bedenkt. Insofern wäre eine Betrachtung, wenn sie möglichst allein noch einmal wiederkommen, die optimale Ausgangssituation für ein wirklich bereicherndes Erlebnis.
Weiteres aus der Künstlerbiografie und der Atelierarbeit von Anne Kolvenbach können Sie im Gespräch mit ihr und aus den ausliegenden Informationsschriften erfahren. Für Ihr Betrachtungserlebnis und die Gespräche wünsche ich Ihnen viele Anregungen und eine angenehme Zeit. Ich danke Ihnen.

© Ekkehard Drefke
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