Texte
Brigitte Splettstößer
Rede zur Vernissage der Ausstellung „running color and lines in a mysterious way“
25.09.2022, Galerie Splettstößer, Kaarst


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Rede der Galeristin Brigitte Splettstößer in der Galerie Splettstößer, Kaarst,
zur Vernissage der Ausstellung von Anne Kolvenbach am 25. September 2022


Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ganz herzlich begrüße ich Sie zur heutigen Eröffnung der Ausstellung mit den Werken von Anne Kolvenbach.

running color and lines in a mysterious way.

Insbesondere begrüße ich die Künstlerin Anne Kolvenbach und auch ihren Mann, Hans Jürgen Kolvenbach, der sie wesentlich bei der Vorbereitung und Gestaltung dieser Ausstellung unterstützt hat. Hans Jürgen Kolvenbach wird bei der Finissage dieser Ausstellung aus seinem neuen Roman „Der mit dem Glück tanzt“ lesen.
Anne Kolvenbach ist in Neuss geboren. Sie hat an der Kunstakademie Düsseldorf studiert, Plastik bei Professor Schiff und Malerei bei Prof. Grote, und sie hat ein Begleitstudium in Kunstgeschichte, Philosophie und Pädagogik absolviert. Sie hat lange Jahre mit Freude und großem Engagement als Kunsterzieherin am Gymnasium Marienberg in Neuss gearbeitet. Parallel dazu war sie auch immer künstlerisch tätig, und nach dem Eintritt in den Ruhestand hat sie ihre freischaffende Tätigkeit sehr intensiviert.
Sie hat ihre Arbeiten auf zahlreichen Ausstellungen gezeigt, deutschlandweit in Galerien und Kunstvereinen, zum Teil auch im Ausland, in ihrer Heimatstadt Neuss im Rathaus und im Atelierhaus an der Hansastraße, und insbesondere auch mehrfach hier in der Galerie:

2008   Denn, was innen, das ist außen
2013   anderswo das Paradies mit Marcel Kolvenbach
2015   lumière espace mouvement mit Christoph Knapp
2019   Licht an mit Rainer Storck

Wir sehen in dieser Ausstellung insgesamt 45 Arbeiten, Arbeiten mit Acryl auf Leinwand und Arbeiten mit Aquarell auf Papier. Ein Großteil der Werke ist erst in diesem Jahr entstanden, die frühesten hier gezeigten stammen aus dem Jahr 2019.
Einige der Arbeiten sind auch in der gemeinsamen Veröffentlichung von Anne und Hans Jürgen Kolvenbach mit dem Titel Parallel abgebildet, in der Malerei von Anne Kolvenbach Gedichten von Hans Jürgen Kolvenbach begegnet.

Beim Rundgang durch die Ausstellung werden wir von einem reichen, lebendigen Farbspiel empfangen, ja umfangen. Jürgen Kolvenbach hat einmal gesagt: „Die Farben tanzen, die Bilder klingen zusammen“.
Wir sehen leichte, eher reduzierte Arbeiten, zum Beispiel das ausgeprägte Querformal mit dem Titel „Ariadnes Faden“, in denen dem Licht ganz viel Raum gegeben ist, ebenso wie sehr dichte, in denen Linien und Formen dicht verwoben sind, wie bei den benachbarten ausgeprägten Hochformaten mit den Titeln „Der zerrissene Faden I und II“, und insbesondere bei der größten hier gezeigten Arbeit mit dem Titel „Das Innere im Außen“, die durch einen spannendes Spiel mit Innen – und Außenperspektive gekennzeichnet ist.

Wichtig für Anne Kolvenbachs Arbeiten ist das Licht, das Licht, wie sie es etwa in ihrem Nordlicht-Atelier erlebt, in einem für sie geschaffenen Raum im zum Wohnhaus gehörigen großzügigen Garten. Und insbesondere das Licht des Südens findet sich in ihren Arbeiten wieder, das Licht, wie sie es zum Beispiel bei ihren regelmäßigen Sommeraufenthalten in Cadaquez in Spanien erlebt, wo drei große hier gezeigte Papierarbeiten vor Ort entstanden sind.
Ausgeprägte Hoch- und Querformate finden wir häufig bei den Arbeiten von Anne Kolvenbach, auch wenn in dieser Ausstellung quadratische oder nahezu quadratische Formen überwiegen. Der Wahl des Bildformats kommt im malerischen Prozess eine wichtige Bedeutung zu. (Die Künstlerin wählt das Bildformat entsprechend ihrer gestalterischen Absicht, und es beeinflusst den Charakter und die Aussage ihrer Malerei). Anne Kolvenbach hat auch dreieckige und rautenförmige Bildträger gewählt, hat diese manchmal installativ kombiniert, wie etwa in der Ausstellung „Raute an Raute“ im Atelierhaus Hansastraße in Neuss. Und sie hat in den Raum ausgreifende Malerei geschaffen, zum Beispiel Rollbilder und kegelförmige Objekte, wie sie zum Beispiel im Kunstverein Wesseling in der großen Ausstellungshalle ausgestellt waren unter dem Titel „Rollbilder im Raum“.
Dabei arbeitet die Künstlerin oft in Zyklen gleichen Formats, arbeitet meist auch an mehreren Bildern parallel.

Anne Kolvenbach bedient sich in ihrer Malerei verschiedener unterschiedlicher Techniken, die sie frei und experimentierfreudig immer wieder neu kombiniert, dabei zurückgreifend auf ihre langjährigen, fundierten Erfahrungen und Erkenntnisse. Ihre Arbeiten entstehen „im Spannungsfeld zwischen Zufall und Konstruktion“, wie sie es selbst beschreibt.
Sie legt mehrere Farbschichten übereinander, reagiert in jedem Schritt auf den vorangegangen, lässt sich intuitiv leiten von der bereits bestehenden Situation. In der nachfolgenden Schicht können neue Formen und Farbflächen und gestische Elemente hinzutreten, Elemente der vorangegangenen Schicht können weitergearbeitet oder teilweise übermalt werden, manchmal abgeklebt mit Klebestreifen oder abgedeckt mit einem Papier, so dass sich diese Bereiche einer Bearbeitung im nächsten Schritt entziehen.

Ihre Papierarbeiten gestaltet die Künstlerin mit Aquarellfarbe, die als Wasserfarbe je nach ihrer Beschaffenheit mehr oder weniger transparent ist und leicht verläuft. Auf Leinwand arbeitet sie mit hochwertigen, hoch pigmentierten und vielseitigen Acrylfarben der, die je nach Verdünnungsgrad transparent oder deckend sind, und deren Eigenschaften Anne Kolvenbachs Techniken optimal entgegenkommen. Eine helle Grundierung bestehend vielfach aus weißen Bereichen und intuitiv gesetzten hellgelben Farbflächen bildet bei den Leinwänden sozusagen als Ausdruck des Lichts die Basis für den folgenden Malprozess.

Anne Kolvenbach trägt Farbe mit dem Pinsel auf oder mit dem Rakel, und insbesondere durch „Pouring“, durch Schütten auf das Papier oder die Leinwand. Die Farbe verläuft dabei prinzipiell unkontrolliert, aber die Künstlerin beeinflusst den Verlauf durch Drehen, Kippen und Anhalten des Bildträgers. „running colors“ wie der Ausstellungstitel besagt führen zu einer Vielfalt unterschiedlicher Farbflächen und Linienverläufen, oft parallelen Linienverläufen.
Ein schönes Beispiel für weitergearbeitete parallele Linienverläufe entdecken wir in der quadratischen lichten Leinwandarbeit mit dem Titel „aufbrechen“ (Bildergalerie auf der Website 2/9). Durch Schütten schwarzer Farbe ist eine Gruppe paralleler schwarzer Linien entstanden und durch kleine grüne Rechtecke zu einer Gruppe von Fahnenstangen geworden, an denen die grünen Rechtecke als Fahnen alle in dieselbe Richtung weisen, und in denen sich die Gruppe auf einem gemeinsamen festen Untergrund diagonal von rechts unten nach links oben auf eine schwarze Form zu bewegt.

Ein reiches Farbspektrum begegnet uns in den Bildern der Künstlerin, Grüntöne sind in vielen Arbeiten dominant, vielleicht gegeben durch die reiche Vegetation in der Umgebung ihres Ateliers, Magenta - für sie ein Zeichen des Südens, Orange – nicht ganz so nahe am Licht wie Gelb, Blautöne auch, die seit jeher eine wichtige Rolle in ihren Bildern spielen. Und es ist viel Bewegung in ihren Bildern, manchmal wie in dem genannten Beispiel in eine Richtung weisend. Und durch Schütten der Farbe und Drehen des Bildträgers entstehen starke Verwirbelungen, wie etwa bei der Arbeit mit dem Titel „wirbelnd“ (Bildergalerie 5/9).

In starkem Kontrast zu den leuchtenden Farben ist die „Nichtfarbe“ Schwarz in vielen Arbeiten präsent. Kandinsky schreibt in seinem berühmten Buch Über das Geistige in der Kunst: „Schwarz ist etwas Erloschenes, …etwas Unbewegliches… was zu allen Ereignissen nicht fühlend steht und alles von sich gleiten lässt.“
Schwarze Formen und Linien stehen in starkem Spannungsfeld zu den farbigen von natürlichen, organischen Formen geprägten Bildanteilen, setzen diesen Formen Härte entgegen. Es entsteht ein Wechselspiel chaotischer Natürlichkeit und fester Ordnung. Anne Kolvenbach lässt im Gespräch anklingen, das die Härte in ihren Bildern durchaus etwas zu tun hat mit ihrer Auseinandersetzung mit der derzeitigen Außenwelt.
Nehmen wir einmal die 160 x 120 große Leinwandarbeit mit dem Titel „Im Gegenzug“ in den Blick (Bildergalerie 4/9). Von oben ragt ein schwarzes längliches geometrisches Muster sozusagen aus der Außenwelt senkrecht in das Bild hinein. Parallel dazu, ungefähr auf der Höhe seines unteren Drittels beginnend, ist ein weiteres, kleineres schwarzes, grün unterlegtes Muster zu sehen. Solche scherenschnittartigen Muster sind auch auf anderen Arbeiten zu sehen, etwa wie ein Ziel der Fahnengruppe auf dem genannten Bild mit dem Titel „aufbrechen“. Auch bei diesen Mustern hat Anne Kolvenbach mit aufgelegten Papieren gearbeitet. Der untere Bereich des Bildes wird eingenommen von einer Schar tierischer Wesen, Vögeln vielleicht, die sich geradezu fluchtartig nach rechts zu bewegen scheint. Wovor mögen die Wesen fliehen? Möglicherweise geht von den beiden schwarzen Formen ein Druck nach unten hin aus, wie von Balken oder Stempeln, und die Tiere versuchen diesem Druck zu entkommen. Muster als streng schematische Formen könnte man als Zeichen der festen von Menschen gemachten Ordnung deuten, einer Ordnung, dem sich die Natur nicht unterordnen will. Oben in der größeren schwarzen Form mag man sogar ein Gesicht entdecken.

Trotz des weitgehend abstrakten Charakters von Anne Kolvenbachs Malerei finden sich in vielen Arbeiten figurative Elemente, entstanden im Zusammenklang abstrakter Formen mit farbigen und insbesondere schwarzen Linien. Auf der großen querformatigen Papierarbeit mit dem Titel „Ariadnes Faden“ scheinen sich Fäden quer über den Bildträger zu erstrecken. Auf einer Arbeit im Nebenraum meinen wir eine unheimliche Maske zu sehen, darunter eine rote Form in der man zwei flüchtende Menschen zu erkennen meint. auf einer anderen ein tanzendes Paar, auf wieder einer anderen eine grün gekleidete Frau, um nur einige Beispiele zu nennen.

Die Kunsthistorikern Dr. Gabriele Broens hat in ihrer Einführungsrede zu Anne Kolvenbachs erster Ausstellung hier in der Galerie 2008 konstatiert, dass Anne Kolvenbachs Malerei auf geradezu paradoxen Begriffspaaren basiert, auf Abstraktion und Figuration, auf Chaos und Ordnung, auf Zufall und Konstruktion. Ich denke, dass es gerade diese Dialektik ist, die den Blick des Betrachters immer wieder aufs Neue bannt.

Fast alle Arbeiten haben Titel, die die Künstlerin ihnen nach deren Fertigstellung - ihr Schaffen im Nachhinein reflektierend - assoziativ zugeordnet hat, und die insbesondere vielfach die Bewegung enthalten, die in den Arbeiten präsent ist: verfolgt, aufbrechen, aufsteigend, überfliegen, im Sprung usw. Aber es handelt sich um weitgehend offene Titel, die in ihrer Offenheit jeglichen illustrativen Prozess negieren und dem Betrachter die Freiheit der eigenen Assoziation belassen.
Rainer Maria Rilke spricht in seinen Kunstbetrachtungen von einem Kunstwerk als einem „tiefinneren Geständnis,… das losgelöst von seinem Urheber allein bestehen kann.“ Und er formuliert weiter: „Mit jedem Kunstwerk kommt etwas Neues, ein Ding mehr in die Welt.“ (Rainer Maria Rilke Von Kunstdingen, Gustav Kiepenheuer Bücherei, 1990)
Es gibt viele solche bereichernde „neue Dinge“, die Sie beim Rundgang durch diese Ausstellung entdecken können.
Lassen Sie sich von diesen Bildern einnehmen, lassen Sie sich leiten von der Aussage von Matisse, der einmal gesagt hat „Ich empfinde durch Farbe“, und geben Sie den Arbeiten und insbesondere den figurativen Elementen ihre eigene freie Deutung.

Herzlichen Dank!

© Brigitte Splettstößer, 25.09.2022

Dauer der Ausstellung: vom 25.09.2022 bis zum 23.10.2022
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